Wissensdesign - Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen
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Für Gestaltungsfragen in Zusammenhang mit Wissensmedien sind Architektur-Metaphern üblich. Begriffe wie Informations-Architektur, SoftwareArchitektur und Theorie-Architektur haben aber längst ihren metaphorischen Charakter abgelegt und werden als reale Beschreibung von Entwurfsweisen und Ordnungsbestrebungen verstanden. Der Adressat als vielfältig vernetzter Nutzer ist jedoch in verschiedenen Umwelten simultan zuhause und muss deren Versatzstücke selbst zu kohärenten „kognitiven Behausungen“ zusammenstellen. Damit werden partizipative Modelle der Architektur aktuell, die eine postheroische Gestaltungshaltung vertreten. Danach verstehen sich Informations-Architekten als Ruinenbaumeister, die die Umnutzung und den Verfall ihrer Konstruktionen antizipieren und dementsprechend modulare, offene Systeme und Prozesse der Nutzerbeteiligung entwerfen. 1 Vom Cyberspace zum allgegenwärtigen Computing Architekturund Raumfragen sind für den Entwurf und die Gestaltung von digitalen Medien von zentraler Bedeutung. Zum einen wird damit kognitiven Erkenntnissen entsprochen, die von einer engen Kopplung von Gedankenund Gedächtnisleistungen mit der visuell-räumlichen Orientierung ausgehen (visual-spatial reasonning). Zum anderen wird der ordnende Aspekt von strukturierten Umgebungen betont, der die Dynamik sozialer und technischer Prozesse formatiert. Das Phänomen der Digitalität wurde mit seinem Aufkommen als „neue Welt“ angesehen, die literarisch und künstlerisch zwischen Diagnose und Zukunftsvision verortet und als Cyberspace oder Matrix beschrieben wurde [GIB84, BEN91]. Da diese Umgebung jegliches menschliche Maß an Präzision, Geschwindigkeit und Überschaubarkeit überschreitet, stellte sich die Frage nach den Möglichkeiten eines Lebens im Netz [TUR95]. Designer haben aus dieser Situation lange die Aufgabe abgeleitet, physische und kognitive Vermittlungen zwischen Mensch und Maschine herzustellen als Screen-, Interfaceund Interaction-Design. Grundlegend war dabei das Modell einer biologisch verkörperten Intelligenz, die sich mit maschinellen Extensionen ausstattet und diese möglichst intuitiv nutzen will. Prof. Peter Friedrich Stephan Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen, Seite 2 Je weiter jedoch das allgegenwärtige Computing fortschreitet und sich in den Hintergrund verlagert (calm, pervasive, ubiquitous) wird deutlich, dass die Beschreibung als Interaktion nur der Außenansicht eines Beobachters entspricht. In der Innenansicht des Nutzers dagegen bleibt das Interface im Idealfall unbeobachtbar und die Interaktion bezieht sich auf Gesprächspartner oder Aufgaben, nicht aber auf Geräte. Deren Interfaces fallen nur auf, wenn sie versagen und die alltäglich gewohnte Kohärenz ins Stocken gerät [WIN86]. Zur Kennzeichnung des Unterschieds dieser beiden Sichtweisen sollen die physikalischen Begriffe von Endound Exo-Perspektive [RÖS92] übernommen werden. 2 Endo – Die Welt von innen Für die Gestaltung informationeller Umwelten kann nur noch von einer EndoPerspektive ausgegangen werden. Die entscheidenden Instanzen für maschinelles Verhalten wie Prozessor, Programm und Speicher, dazu noch Sensoren und Effektoren, sind nicht mehr als Geräte anzusprechen, gegenüber denen Kriterien der Interaktion als symmetrisch modellierte Kommunikation von Einund Ausgabeprozessen Bestand haben. Die ontologische Voraussetzung von Subjekt und Objekt wird unterlaufen zugunsten eines lebensweltlichen Kontinuums, das vom Menschen bewohnt wird und erst durch ihn und seine Bedeutungszuweisungen zur Welt wird. Dies entspricht einer These Heideggers zum Zusammenhang von „Bauen, Wohnen, Denken“ [Hei51]. Menschen werden in dieser Perspektive nicht auf Nutzer reduziert, denen zweckrationale Ziele unterstellt werden können. Vielmehr sind sie einfach als Bewohner anzusehen, die Signale zu Mustern zusammenstellen, die mit einer „sozial und kognitiv hinreichenden Erfolgsquote“ [SLO93] als bedeutsam gelten können. Hier wird nicht mehr zwischen physischen und digitalen Systemen unterschieden, ebenso wenig wie zwischen mechanischen, pneumatischen, hydraulischen oder elektrischen Anteilen. Damit ist für die Gestaltung in Bezug auf Wissenskommunikation eine neue Ebene erreicht. Es geht nicht mehr um die Aufarbeitung von Wissensinhalten (content) und deren optimaler Präsentation durch geeignete Mediengestaltung, sondern es geht um die Gestaltung des Wissens selbst. Nicht Shaping Tools, sondern Shaping knowledge heisst die neue Aufgabe. Dies kann am Beispiel von Musikinstrumenten illustriert werden: Es werden zwar immer weiter neue Keyboards, Mundstücke, Griffbretter oder sonstige physikalische oder virtuelle Interfaces von Instrumenten erfunden, doch Sounddesign meint die Gestaltung der Klänge selbst, mit allen Mitteln, die in der „Soundwelt“ zur Verfügung stehen. Ebenso soll unter Wissensdesign die Gestaltung von Wissen selbst verstanden werden, mit allen Mitteln, die in der „Wissenswelt“ vorhanden sind. In dieser Sichtweise zeigt sich, dass an der Sprache entwickeltes Wissen nur einen kleinen Teil des möglichen Wissens darstellt. Eine auf Begriffe fixierte Wissenschaft ist gerade dabei, andere Formen des Wissens zu entdecken, etwa im Umfeld des iconic turn und der spatial, performative und sonic turns, bis deutlich wird, dass es die Drehung selbst ist, die im Wissensraum die multiplen Perspektiven erzeugt. 3 Anschluss an Kognitionstheorien Diese anspruchsvolle Definition von Wissensdesign schließt an aktuelle Forschungen der Kognitionswissenschaften an. Nachdem dort zunächst Fragen der symbolischen Repräsentation zentral waren, hat sich das Interesse symmetrisch erweitert zu embodied cognition einerseits und situated cognition oder environmental knowing andererseits. Die schon klassische Frage von Miller 1968 „Where in the world ist the information?“ [MIL68] wird daher mit „überall“ beantwortet mit dem Zusatz, dass es eines interpretieProf. Peter Friedrich Stephan Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen, Seite 3 renden Beobachters samt sozialer und apparativer Ausstattung bedarf, um aus dem Rauschen der Natur ebenso wie aus Elektro-Smog verwertbare Signale und Daten zu erzeugen. Subjektive Leistungen, die einst als cogito ergo sum gefasst wurden, werden in ihrer Bedeutung zurückgestuft, was Literaten und Aphoristiker schon früh nahegelegt hatten. „Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt“, formulierte Lichtenberg 1793 [LIC93] und nur einige Jahre später befand Kleist: „Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unserer, welcher weiß.“ (KLE05). Konzepte der verteilten Intelligenz gehen ohnehin davon aus, dass es simple, nichtintelligente Bestandteile sein müssen, deren Kooperation intelligentes Verhalten erzeugt bzw. emergieren lässt, denn andernfalls entstünde ein infiniter Regress. Die Thesen von Vygotsky „Mind in Society“ [VYG78] und Minsky „The Society of Mind“ [MIN85], die um die Interaktionen von minds kreisen, scheinen sich heute, in ausreichend verdichteten informationellen Umgebungen, empirisch überprüfen zu lassen. Im Gegensatz zu den unendlichen Dimensionen von Cyberspace und Matrix bringen embodied und embedded cognition die Bedeutung des Lokalen zurück [CAP03]. Es sind nicht mehr frei flottierende Zeichen wie noch in den Simulationstheorien der 1980er Jahre, sondern es sind Zeichen am Ort, die die Welt als bewohnte Bedeutung ausmachen. Für die Gestaltung stellt sich somit ebenso wie für das neue Fach der Kulturtechnik die Frage, wie tradierte „Semiotope“ [SIE], also etwa „das Büro, das Amt, das Schiff, das Atelier, das Labor, die Schule, die Akademie“ [SIE] in die neuen Informationswelten übersetzt oder neu gefasst werden können. 4 Make the Interface go away Experten agieren kompetent in ihren kognitiven Umgebungen. Ihr Wissen realisiert sich in der jeweiligen Aktivität [DRE87]. So wird dem erfahrenen Pianisten sein Keyboard nicht zum Problem, sondern es wird im Gegenteil komplett transparent. Gleiches gilt für Formel 1 Rennfahrer und ihr Cockpit, aber auch für Bauarbeiter und ihre Maschinen, für Profi-Fotografen und ihre Kamera, für Hausfrauen in Bezug auf die Küche oder Kinder in Bezug auf ihren Roller. Es ist der „Hintergrund des Wissens“ [BAU93], der sich hier realisiert und jenseits symbolischer Repräsentation wirksam wird. „Make the Interface go away“ [NEG95] wurde für die Gestaltung informationeller Umgebungen als Ziel formuliert. Forschungen zur materiellen Epistemologie zeigen, dass es „epistemische Dinge“ bzw. „Experimentalumgebungen“ [RHE92] sind, die Erkenntnis generierend und leitend wirken, indem sie in einen „inneren Anschluss“ [RHE92] zum Akteur kommen und damit aus der Wahrnehmung verschwinden. Dabei wird ein Eigensinn der Verfahren wirksam, der aber vom Eigensinn des Nutzers nicht mehr zu unterscheiden ist. In Bezug auf die „kognitiven Behausungen“ hieße dies, das jedermann sein Expertentum in Bezug auf selbst organisiertes Wohnen produktiv machen können und müssen wird. Kompetentes Handeln wird nicht mit deklarativem Wissen gleichgesetzt, sondern äußert sich in nicht-sprachlichen, unmittelbaren Manipulationsgesten. Dies könnte der positiven Vision einer Kultur des Analphabetismus entsprechen [NAD97]. 5 Utopische Architektur Wer die Darstellungen auf heutigen Desktops beschreiben wollte, käme wohl ähnlich jenes surrealistischen Zusammentreffens von Regenschirm und Nähmaschine auf dem Operationstisch zu einer wilden Mischung von Geschäftspost und Ferienfotos, PlattenProf. Peter Friedrich Stephan Wissensdesign – Gestalterische Aspekte künftiger Wissens(un)ordnungen, Seite 4 sammlung, Bankgeschäften, Zeitschriften und Datenbanken. Weit jenseits der Versprechungen auf funktionale und elegante Umgebungen ähneln die chaotischen Zustände eher dem Sprawl, jenem unübersichtlichen Feld aus improvisierten, temporären und prekären Behausungen aus Pappkartons und Wellblech, die sich am Rande der Metropolen
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